211111 Mehr Infos zum Schlussanträge des des Generalanwalts der Rechtssache C-232/20

Mehr Infos zum Schlussanträge des Generalanwalts der Rechtssache C-232/20

Vorübergehende Überlassung von Leiharbeitern, Überlassungszeiten vor der AÜG-Reform, Schlussanträge des Generalanwalts Tanchev in der Rechtssache C-232/20


Sachverhalt: Wann ist Leiharbeit vorübergehend?

Die Schlussanträge zur folgenden Rechtsache betreffen die EuGH-Vorlage des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg (15 Sa 1991/19). Es handelt sich um die Auslegung der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit.


Im vorliegenden Fall war der Kläger als Leiharbeiter seit dem 01.09.2014 bei einem Leiharbeitsunternehmen beschäftigt. In einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag war vereinbart worden, dass der Kläger die Arbeitsleistung bei der Beklagten D., einem Großunternehmen der Automobilindustrie, in Berlin als Metallarbeiter zu erbringen hat.


Der Kläger war vom 01.09.2014 bis 31.05.2019 ausschließlich der Beklagten als Leiharbeiter überlassen worden. Er arbeitete ständig in der Motorenfertigung. Unterbrochen war diese Zeit nur für 2 Monate wegen der Elternzeit.


Schlussanträge des Generalanwalts des EuGH: Der Begriff „vorübergehend“ bezieht sich nur auf die Zeiten der Überlassung des Leiharbeiters

Bei der Beantwortung der vorgelegten Fragen stützte sich der Generalanwalt auf eine ähnliche Rechtsache, das Urteil des EuGH C‑681/18 vom 14. Oktober 2020. (Den entsprechenden Beitrag finden Sie hier.)


Der Generalanwalt kam in seinen Schlussanträgen zu dem Schluss, dass der Begriff „vorübergehend“ sich nur auf die Zeiten der Überlassung des betreffenden Leiharbeiters bezieht. Auf den Arbeitsplatz, auf dem der Leiharbeiter eingesetzt wird, wird nicht abgestellt. Folglich sind dauerhaft vorhandene Arbeitsplätze wie auch nicht vertretungsweise besetzte Arbeitsplätze nicht automatisch vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/104/EG ausgeschlossen. Auch auf diesen dürfen somit Leiharbeiter eingesetzt werden.


Der Wortlaut der Richtlinie zeigt, dass den Mitgliedstaaten ein weiter Ermessensspielraum bei der Umsetzung des Begriffs „vorübergehend“ einzuräumen ist. Entscheidend ist, dass die vorübergehende Überlassung eines Leiharbeiters nicht zu einer Überlassung von übermäßiger Dauer wird, die einer dauerhaften Überlassung gleichsteht.


Folglich bezieht sich „vorübergehend“ ausschließlich auf die Überlassung des Leiharbeiters. Es bedeutet „nur für eine beschränkte Zeitdauer“ und „nicht dauerhaft“, wobei sich dies allein auf den Zeitraum bezieht, während dessen der betreffende Leiharbeiter zur Verfügung gestellt wird.


Nichtberücksichtigung von Überlassungszeiten vor dem 1. April 2017 nach dem AÜG für die vorübergehende Überlassung von Leiharbeitern

Des Weiteren sieht der Generalanwalt, dass ein mitgliedstaatliches Gesetz, durch das die Berücksichtigung von Zeiten der Überlassung von Leiharbeitern ausdrücklich ausgeschlossen wird, nicht mit Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104 vereinbar ist, wenn es die Dauer der Überlassung verkürzt. Dies sieht der Generalanwalt darin, dass durch die in Deutschland am 1. April in Kraft getretene Gesetzesreform, nach der die Überlassungszeiten vor diesem Datum unberücksichtigt bleiben, der Leiharbeiter die Möglichkeit verloren hat, sich darauf zu berufen, dass seine Überlassung für eine Dauer von vier Jahren und neun Monaten einen gegen Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104 verstoßenden missbräuchlichen Einsatz von Leiharbeit darstellte. Diese Situation ist gemäß den Schlussanträgen des Generalanwalts weder vereinbar mit Art. 10 und dem 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/104/EG sowie der Verpflichtung in deren Art. 2, „für den Schutz der Leiharbeiter zu sorgen“, noch mit Deutschlands allgemeinen Treuepflichten gemäß Art. 4 EUV bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben, und Art. 288 AEUV, was die Bindungswirkung von Richtlinien betrifft.

 

Im Falle eines Rechtsstreits zwischen zwei Privatpersonen sind nicht unionsrechtskonforme mitgliedstaatliche Gesetze, die einen Ausschluss der Berücksichtigung von Überlassungszeiten vorsehen, jedoch nur dann unangewendet zu lassen, wenn dies nicht zu einer Auslegung des nationalen Rechts contra legem (gegen den Wortlaut des Gesetzes) zwingt. Dies zu entscheiden ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts.


In Bezug auf die nächste Frage ist der Generalanwalt der Ansicht, dass ein Leiharbeiter aus der Richtlinie 2008/104/EG keinen Anspruch auf das Zustandekommen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses mit dem entleihenden Unternehmen hat, falls ein missbräuchlicher Einsatz von Leiharbeit im Sinne von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104/EG festgestellt wird.

Schließlich ist aus den Schlussanträgen zu entnehmen, dass die Ausdehnung der individuellen Überlassungshöchstdauer den Tarifvertragsparteien überlassen werden kann, und zwar auch Tarifvertragsparteien, die nur für die Branche des entleihenden Unternehmens zuständig sind.


Fazit: Übernimmt der EuGH die Schlussanträge?

Jetzt bleibt abzuwarten, ob der EuGH in seiner Entscheidung die Schlussanträge übernimmt oder nicht. Positiv für die Unternehmen, die Zeitarbeiter überlassen, ist es unseres Erachtens, dass der Generalanwalt den Begriff „vorübergehend“ nicht an den Arbeitsplatz knüpft, sondern lediglich auf die Zeiten der Überlassung ausweitet. Wenn der EuGH jedoch die Ansichten des Generalanwalts bezüglich der Unvereinbarkeit des AÜG mit dem Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie über Leiharbeit teilt, wird dies zu Schwierigkeiten in der Zeitarbeitsbranche führen.


siehe auch unter:  https://protag-law.com/voruebergehende-ueberlassung-von-leiharbeitern-ueberlassungszeiten-vor-der-aueg-reform-schlussantraege-des-generalanwalts-tanchev-in-der-rechtssache-c-232-20/

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