Mehr Infos zu LAG München Urteil vom 29.04.2020 - 11 Sa 106/20

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Arbeitsverhältnis kraft gesetzlicher Fiktion, Abgrenzung von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung
LAG München Urteil vom 29.04.2020 – 11 Sa 106/20

Sachverhalt: Was ist bei der Durchführung eines Werkvertrags zu beachten, damit keine Arbeitnehmerüberlassung vorgeworfen wird?
Das LAG München befasste sich in seinem Urteil mit der Abgrenzung eines Werkvertrages zur Arbeitnehmerüberlassung.

Die Parteien stritten darüber, ob zwischen der Klägerin und der Beklagten seit 15.04.1985 ein Arbeitsverhältnis besteht. Die Beklagte betreibt ein Kernkraftwerk. Sie erteilte einen Auftrag über Werkleistungen an eine Firma Y. Bei dieser war die Klägerin aufgrund des Arbeitsvertrags vom 11.04.1985 als Hilfskraft für Mikroverfilmung beschäftigt.

Ab dem 01.04.1987 wurde der Vertragsarbeitgeber der Klägerin aufgrund der Verschmelzung bzw. der Abspaltung der Firma Y drei Mal gewechselt.

Unabhängig vom Wechsel des Arbeitgebers war die Klägerin seit 15.04.1985 im Rahmen der Werkverträge ausschließlich im Betrieb der Beklagten in der Abteilung „technische Zentralregistratur“ tätig. Die Klägerin war der Ansicht, ihr Einsatz bei der Beklagten sei von Beginn an im Wege der Arbeitnehmerüberlassung und nicht im Rahmen von Werkverträgen erfolgt. Daher begehrte die Klägerin mit ihrer Klage beim Arbeitsgericht die Feststellung, dass zwischen ihr und der Beklagten seit 15.04.1985 aufgrund gesetzlicher Fiktion ein Arbeitsverhältnis bestehe, § 9, §10 AÜG.

Das Arbeitsgericht Augsburg wies die Klage ab und führte aus, dass die Klägerin ihre Tätigkeit aufgrund eines Werkvertrages zwischen ihrem Arbeitgeber und der Beklagten ausübe. Hiergegen legte die Klägerin die Berufung ein und meinte, dass die Werkverträge zum Schein geschlossen worden seien.

Nach Ergehen eines Urteils am 30.04.2019 durch LAG (Az. 4 Sa 511/18), in dem von Arbeitnehmerüberlassung ausgegangen war, und dessen Aufhebung durch das Bundesarbeitsgericht (Az. 9 AZN 802/19) unter Zurückverweisung zur neuen Verhandlung und Entscheidung kam die Sache wieder zum LAG.

Entscheidung des LAG: Kein Werkvertrag, sondern Arbeitnehmerüberlassung
Das LAG München kam zu dem Ergebnis, dass zwischen den Parteien seit 15.04.1985 kraft gesetzlicher Fiktion ein Arbeitsverhältnis besteht. Als Begründung führte das LAG aus, die Klägerin war im Rahmen ihrer Beschäftigung über die Firma Y. an die Beklagte zur Arbeitsleistung überlassen. Dies führt für die Zeit ab dem 15.04.1985 zu einem Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten.

Die Rechtswirksamkeit des Zustandekommens eines Vertrages richtet sich nach den Rechtsvorschriften, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses galten. Danach folgt das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses der Klägerin mit der Beklagten zum einen aus dem Umstand, dass die Firma Y. unstreitig über keine erforderliche Verleiherlaubnis verfügte. Zum anderen ergibt sich das Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses aus einer unerlaubten Arbeitsvermittlung durch die Überschreitung der damals zulässigen Überlassungsdauer.

Das Außerkrafttreten der alten Vorschrift im Jahr 1997 beendete außerdem das Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien nicht. Der Gesetzgeber strich zwar durch das Arbeitsförderungsreformgesetz, die alte Vorschrift, traf jedoch keine Regelungen für bereits entstandene Arbeitsverhältnisse zum Entleiher. Daher gelten für den Fortbestand und die Beendigung dieser Arbeitsverhältnisse die allgemeinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen. Das heißt, die entstandenen Arbeitsverhältnisse bestehen so lange fort, bis sie nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Regeln beendet werden.

Weiterhin erläuterte das LAG in seinem Urteil die aus der Rechtsprechung bekannten Abgrenzungskriterien der Werkverträge von einer Arbeitnehmerüberlassung.

Gründe für die Arbeitnehmerüberlassung und den Ausschluss von Werkverträgen
Auf der Basis der Abgrenzungskriterien kam das LAG zu dem Ergebnis, dass der drittbezogene Personaleinsatz der Klägerin bei der Beklagten während der Zeit ihrer Beschäftigung über die Firma Y. im Wege der Arbeitnehmerüberlassung erfolgt war. Einen Werkvertrag lehnte es ab. Bei einer wertenden Gesamtbetrachtung war von einem Scheinwerkvertrag auszugehen. Hierzu nannte das LAG folgende Gründe:
  • Die Klägerin wurde durch Mitarbeiter der Beklagten eingewiesen. Hierbei handelte es sich auch nicht nur um projektbezogene ergebnisorientierte Weisungen. Es ging vielmehr gerade darum, wie man zum jeweiligen Ergebnis kommt, also wie der Arbeitsvorgang abläuft, und damit um verfahrensorientierte Weisungen.
  •     Die Klägerin wurde in den Betrieb der Beklagten durch folgende Tatsachen eingegliedert: 
    1.  Genehmigung des Urlaubs nur nach Abstimmung mit Mitarbeitern der Beklagten
    2.  Ausführung der gleichen Tätigkeiten wie das angestellte Personal
    3.  Zusammenarbeit mit Mitarbeitern der Beklagten ohne erkennbare Möglichkeit zur Abgrenzung des Werkerfolgs
    4.  Kein Weisungsberechtigter bzw. Ansprechpartner vom Auftragnehmer
  •  Der Auftragnehmer verfügte über keine betrieblichen und personellen Voraussetzungen für die Abwicklung eines Werkvertrags.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss das Unternehmen eine Struktur aufweisen, die ihm eine Tätigkeit ermöglicht, die über die bloße Zurverfügungstellung von Arbeitnehmern hinausgeht und die ihn in die Lage versetzt, die für ein Arbeitsverhältnis typischen Entscheidungen zu treffen. Fehlt es daran und ist zudem der vertraglich festgelegte Leistungsgegenstand derart unbestimmt, dass er erst durch Weisung des Auftraggebers konkretisiert wird, liegt Arbeitnehmerüberlassung vor.
  •  Kontrollen, Abnahmen und Dokumentationen fanden nicht statt.
  • Ein abgrenzbares Werk neben den Arbeitsergebnissen der anderen Mitarbeiter der Beklagten lag nicht vor.
Die oben genannten Gründe sprechen für eine Arbeitnehmerüberlassung und gegen einen Werkvertrag. Daher ist ein Arbeitsverhältnis in der genannten Zeit aufgrund der fehlenden Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis entstanden. Darüber hinaus ist ein Arbeitsverhältnis auch wegen des Überschreitens der damaligen Überlassungshöchstdauer entstanden.

Fazit: Beim Einsatz im Rahmen eines Werkvertrages gibt es viel zu beachten, um die Gefahr einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung zu vermeiden
Der vorliegende Fall zeigt, wie viel zu beachten ist, wenn Unternehmen Fremdpersonal im Rahmen von Werkverträgen einsetzen wollen. Die Grenze zwischen einem Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung ist in der Praxis nicht immer leicht zu ziehen. So kann dann plötzlich ein Scheinwerkvertrag vorgeworfen werden. Hierzu ist die saubere Durchführung der Tätigkeit außerordentlich wichtig. So muss der Vertrag richtig und ausführlich formuliert werden. Zudem muss die praktische Durchführung der Tätigkeit mit dem Vertrag im Einklang stehen. Wenn dies nicht der Fall ist, drohen unangenehme Folgen. Um sich abzusichern, empfiehlt sich hierzu anwaltlicher Rat und die Durchführung von Audits zur Absicherung.



siehe auch unter: https://protag-law.com/arbeitsverhaeltnis-kraft-gesetzlicher-fiktion-abgrenzung-von-werkvertraegen-und-arbeitnehmerueberlassung-lag-muenchen-urteil-vom-29-04-2020-11-sa-106-20/
Kontaktperson: Zu diesen und anderen Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Zögern Sie nicht und nehmen Sie Kontakt auf. Herr Rechtsanwalt Andorfer hilft Ihnen auch bei allen anderen Fragen rund um die Themen Fremdpersonaleinsatz, insbesondere Recht der Werkverträge und Zeitarbeit,  Arbeits- und Wirtschaftsstrafrecht, Deutsches und Europäisches Sozialversicherungsrecht sowie Europarecht. Ebenso berät Sie Herr Andorfer bei Fragen des Einsatzes von Selbständigen. Er berät Sie über die Durchführung Ihrer Tätigkeit, auditiert die Abläufe in Ihrem Betrieb wie bei einer Zollprüfung und hilft Ihnen die Risiken zu reduzieren. Sie erreichen ihn per E-Mail (andorfer@protag-law.com) und telefonisch unter 0621 391 80 10 – 0.

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