Mehr Infos zu Urteil vom BAG - 5 AZR 505/20

Mehr Infos zum Urteil des BAG - 5 AZR 505/20

Mindestlohn für den Bereitschaftsdienst von entsandten Arbeitnehmern?

BAG Urteil - 5 AZR 505/20


Sachverhalt: Ist der Mindestlohn für den Bereitschaftsdienst von entsandten Arbeitnehmern zu bezahlen?

 

Im vorliegenden Fall streiten die Parteien über die Differenzvergütung nach dem Mindestlohngesetz für den Zeitraum Mai bis August 2015 und Oktober bis Dezember 2015.

 

Die Klägerin ist eine Bulgarin, die bei der Beklagten, einem Unternehmen mit Sitz in Bulgarien, im Rahmen eines Arbeitsvertrags mit einem monatlichen Nettolohn von 950 Euro tätig war. Nach der Vereinbarung zwischen den Parteien wurde die Klägerin nach Deutschland entsandt, um eine 90-jährige Person zu betreuen. Dem zugrunde lag ein Dienstleistungsvertrag zwischen der Beklagten und einer deutschen Agentur.


Obwohl die Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Beklagten einen 6-stündigen Arbeitstag mit einer täglichen Ruhezeit von 60 Minuten und einer wöchentlichen Ruhezeit von 2 Arbeitstagen - Samstag und Sonntag vorsah, war die Klägerin nach ihren Angaben an sieben Tagen pro Woche von 6:30 bis 22 und 23 Uhr tätig. Außerdem musste sie auch in der Nacht auf Zuruf der zu betreuenden Person Hilfe leisten. Aus diesem Grund war die Klägerin der Ansicht, ihr stehe der gesetzliche Mindestlohn für 24 Stunden je Arbeitstag - unter Einschluss eines Erholungsurlaubs vom 15. bis zum 30. April 2015 - für insgesamt 231 Kalendertage zu. Sie beantragte daher erstinstanzlich, die Beklagte zu verurteilen, ihr 47.124,00 Euro brutto abzüglich 6.680,00 Euro netto, die sie bereits erhalten hatte, zu zahlen.

 

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, sie schulde den gesetzlichen Mindestlohn nur für die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit von 30 Wochenstunden. Bereitschaftsdienst sei nicht vereinbart gewesen.

 

Während das Arbeitsgericht die Klage auf Urlaubsentgelt abwies, sprach es der Klägerin für die geleistete Arbeit ausgehend von einer Arbeitszeit von 24 Stunden arbeitstäglich insgesamt 42.636,00 Euro brutto abzüglich erhaltener 6.680,00 Euro netto nebst Prozesszinsen zu.

 

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die tägliche Arbeitszeit auf 21 Stunden geschätzt und sprach der Klägerin 38.377,50 Euro brutto abzüglich 6.680,00 Euro netto nebst Prozesszinsen zu.

 

Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter, während die Klägerin mit ihrer Anschlussrevision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt.

 

Entscheidung des BAG: Dem entsandten Arbeitnehmer steht der Mindestlohn auch für den Bereitschaftsdienst zu

 

Nach § 15 Satz 1 AEntG können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in den Geltungsbereich dieses Gesetzes entsandt sind oder waren, eine auf den Zeitraum der Entsendung bezogene Klage auf Erfüllung der Verpflichtungen nach § 2 AEntG vor einem deutschen Gericht für Arbeitssachen erheben. Das BAG stellte fest, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

 

Die Klägerin war im Streitzeitraum von der in Bulgarien ansässigen Beklagten nach Berlin, also in den Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, zur vorübergehenden Arbeitsleistung entsandt. Die Klage bezieht sich auf die Erfüllung der Verpflichtung der Beklagten nach § 2 Nr. 1 AEntG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (AEntG aF). Danach finden die in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften enthaltenen Regelungen über die Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zwingend Anwendung. Zu den Mindestentgeltsätzen iSd. § 2 Nr. 1 AEntG aF gehörte seit dem 1. Januar 2015 auch der gesetzliche Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz.


Die Klägerin verlangte für den streitigen Zeitraum für geleistete Vollarbeit und Bereitschaft für jeden Kalendertag für jeweils 24 Stunden den gesetzlichen Mindestlohn von - damals - 8,50 Euro brutto unter Abzug der von der Beklagten in dieser Zeit erhaltenen Nettovergütung. Das BAG stellte fest, dass die Klägerin gegen die Beklagte nach § 1 Abs. 1 iVm. § 20 MiLoG für die von ihr im Inland geleistete Arbeit Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns hat.

 

Vorgaben des Mindestlohngesetzes stehen über dem Arbeitsvertrag

 

In welchem Umfang tatsächlich geleistete Arbeit mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten ist, richtet sich auch bei entsandten Arbeitnehmern nicht nur nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, sondern primär nach den Vorgaben des Mindestlohngesetzes. Denn der Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG ist ein die vertragliche Vergütungsabrede korrigierender gesetzlicher Anspruch. Dieser tritt eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch. Weil § 20 MiLoG den Arbeitgeber mit Sitz im Ausland gegenüber seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern nach denselben Grundsätzen zur Zahlung des Mindestlohns verpflichtet, wie sie für einen Arbeitgeber mit Sitz im Inland gelten, wären arbeitsvertragliche Vereinbarungen, die den inländischen gesetzlichen Mindestlohnanspruch unterschritten oder vereitelten, nach § 3 Satz 1 MiLoG unwirksam, unabhängig davon, welchem Recht der Arbeitsvertrag ansonsten unterliegt. Desgleichen verdrängt § 20 MiLoG als Eingriffsnorm etwa abweichendes bulgarisches Recht.

 

Mindestlohn auch für Bereitschaftsdienst

 

Nach deutschem Mindestlohnrecht schuldet der Arbeitgeber den gesetzlichen Mindestlohn für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde. Der Mindestlohn ist für alle Stunden, während derer der Arbeitnehmer die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeit erbringt, zu zahlen. Das bedeutet, mit dem Mindestlohn ist nicht nur die Vollarbeit, sondern auch der Bereitschaftsdienst zu zahlen.

 

Der Arbeitnehmer kann während des Bereitschaftsdienstes nicht frei über die Nutzung dieses Zeitraums bestimmen, sondern muss sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort bereithalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit von sich aus (Arbeitsbereitschaft) oder „auf Anforderung“ (Bereitschaftsdienst) aufzunehmen. Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst sind nicht nur arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit (zu unionsrechtlichen Vorgaben hierzu EuGH 9. März 2021 - C-580/19 - Rn. 26 ff. und - C- 344/19 - Rn. 25 ff. - jeweils mwN), sondern nach inländischem Recht vergütungspflichtige Arbeit (BAG 29. Juni 2016 - 5 AZR 716/15 - Rn. 28, aaO). Denn zu dieser zählt auch die vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz oder einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, er also weder eine Pause (§ 4 ArbZG) noch Freizeit hat.

 

Das BAG kam zu dem Ergebnis, dass das Landesarbeitsgericht mit seiner Annahme, die Klägerin habe arbeitstäglich 21 Stunden Arbeitsleistung erbracht, § 286 Abs. 1 ZPO verletzt hat, weil es den Vortrag der Beklagten zum Umfang der von der Klägerin geschuldeten und geleisteten Arbeit nicht ausreichend gewürdigt hat.

 

Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen konnte das BAG jedoch nicht selbst entscheiden, in welcher Höhe die Klage auf Differenzvergütung begründet ist. Aus diesem Grund hob das BAG das Berufungsverfahren auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück.

 

Fazit: Auch bei Entsendungen greift das Mindestlohngesetz

 

Aus dem Urteil wird deutlich, dass ausländische Arbeitgeber, die ihre Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden, die Vorgaben des deutschen Mindestlohngesetzes einhalten müssen, die über den arbeitsverträglichen Vereinbarungen stehen. Wenn entsandte Arbeitnehmer zusätzlich Bereitschaftsdienst ausüben, steht diesen für die Bereitschaftsstunden auch der Mindestlohn zu. Um Risiken zu vermeiden, empfiehlt sich hierzu anwaltlicher Rat.

 


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