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Mehr Infos zum Urteil des BGH v. 13.11.2019 - 1 StR 58/19


Neuer Verjährungsbeginn bei Hinterziehung von Sozialabgaben
BGH Urteil v. 13.11.2019 - 1 StR 58/19

Sachverhalt: Ist eine sehr lange Verjährungszeit bei Hinterziehung von Sozialabgaben angemessen?
Im vorliegenden Fall wurde der Angeklagte wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 67 Fällen und wegen Steuerhinterziehung in 36 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendete sich der Angeklagte mit seiner Revision.


Dem Angeklagten wurde der Einsatz von illegal beschäftigten Mitarbeitern zur Erbringung von Bauleistung vorgeworfen, sowie dessen Verschleierung durch Abdeckrechnungen. Die „schwarz“ beschäftigten Arbeitnehmer meldete er nicht bei der jeweils zuständigen Einzugsstelle zur Sozialversicherung, obwohl er seine entsprechende Verpflichtung kannte. Er enthielt dadurch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung vor. Ebenso ließ der Angeklagte in Kenntnis seiner entsprechenden Verpflichtung die durch die Scheinrechnungen verdeckten Schwarzlöhne nicht an die BG Bau melden und führte infolgedessen auch die Beiträge zur berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung nicht vollständig ab. Schließlich machte er in Bezug auf die Abdeckrechnungen gegenüber dem zuständigen Finanzamt unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen und verkürzte dadurch Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag.

Hierbei handelt es sich jedoch um einen alten Fall, denn unter anderem lag der Fälligkeitszeitpunkt für die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge zwischen dem 29. Januar 2007 und dem 29. Mai 2008.

Der anfragende Senat des BGH beabsichtigt, das Verfahren wegen Verjährung dieser Taten einzustellen und infolgedessen den Gesamtstrafenausspruch aufzuheben.

Anfrage des BGH: Verjährung beginnt ab dem Fälligkeitszeitpunkt der Sozialversicherungsbeiträge
Dies weicht jedoch von der ständigen Rechtsprechung anderer BGH-Senate ab. Denn nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beginnt die Verjährungsfrist bei Hinterziehung von Sozialabgaben wie im vorliegenden Fall erst mit dem Erlöschen der Beitragspflicht, so dass Verjährung vorliegend nicht eingetreten wäre. Der anfragende Senat darf jedoch nicht von der Rechtsprechung des BGH abweichen. Aus diesem Grund legte der Senat diesen Anfragebeschluss gemäß § 132 Abs. 2 und 3 GVG den anderen BGH-Senaten vor.

Als Begründung führte der Senat folgendes aus. An seiner bisherigen Auffassung, den Verjährungsbeginn bei Hinterziehung von Sozialabgaben an das Erlöschen der Beitragspflicht anzuknüpfen, hält der Senat nicht länger fest. Nach seiner Ansicht ist es vielmehr richtig, die Verjährung auch bei solchen Taten mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts der Sozialversicherungsbeiträge beginnen zu lassen.

Bisher waren die Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge erst 30 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres verjährt, in dem sie fällig geworden sind. Die fünfjährige strafrechtliche Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) begann erst ab diesem Zeitpunkt zu laufen. Eine derart lange „Gesamtverjährungszeit“ ist unangemessen. Sie steht in keinem Verhältnis zur Schwere der Taten gemäß § 266a StGB.

Die Verjährung soll nach allgemeiner Meinung einerseits dem Rechtsfrieden und andererseits verfahrenspraktischen Erwägungen dienen. Zu letzteren zählen eine Disziplinierungsfunktion gegenüber den Organen der Strafrechtspflege, eine Entlastung der Justiz durch die Nichtverfolgbarkeit verjährter Taten sowie der mit der Zeit voranschreitende Beweismittelschwund. Mit Verstreichen der Verjährungsfrist wird das Spannungsverhältnis zwischen Zeit und Recht dahingehend aufgelöst, dass dem eingetretenen Rechtsfrieden der Vorrang vor der Verfolgung der Straftat gewährt wird.

Der Senat sah sich durch ständige Rechtsprechung an der beabsichtigten Entscheidung gehindert.  Daher fragte er in seinem Anfragebeschluss im Hinblick auf die obigen Ausführungen bei den anderen Senaten an, ob an gegebenenfalls entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.

Mit dem Beschluss vom 6.02.2020 – 5 ARs 1/20 schloss sich der 5. Strafsenat der Rechtsauffassung des anfragenden Senats an. Auch dieser Senat des BGH hält an der entgegenstehenden Rechtsprechung nicht mehr fest und stimmt dem Verjährungsbeginn ab dem Fälligkeitszeitpunkt der Sozialversicherungsbeiträge zu.


Fazit: Mögliche Erleichterung für Unternehmen, die Fremdpersonal einsetzen
Der Beschluss des BGH ist von sehr großer Bedeutung. Wenn die anderen Senate zustimmen, wird  das komplette Verjährungssystem der Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge geändert. Dann könnten Unternehmen, die beispielsweise Fremdpersonal aufgrund eines Werkvertrages einsetzen, nicht mehr fürchten, dass Ihnen im Nachhinein nach 30 Jahren eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vorgeworfen wird, wodurch sie Sozialversicherungsbeiträge nachträglich zahlen müssen. Zu diesen und anderen Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Zögern Sie nicht und nehmen Sie Kontakt auf.


siehe auch unter: https://protag-law.com/verjaehrungsbeginn-bei-vorenthalten-von-sozialversicherungsbeitraegen-bgh-13-11-2019-1-str-58-19/
Kontaktperson: Herr Rechtsanwalt Andorfer hilft Ihnen auch bei allen anderen Fragen rund um die Themen Fremdpersonaleinsatz, insbesondere Recht der Werkverträge und Zeitarbeit,  Arbeits- und Wirtschaftsstrafrecht, Deutsches und Europäisches Sozialversicherungsrecht sowie Europarecht. Ebenso berät Sie Herr Andorfer bei Fragen des Einsatzes von Selbständigen. Er berät Sie über die Durchführung Ihrer Tätigkeit, auditiert die Abläufe in Ihrem Betrieb wie bei einer Zollprüfung und hilft Ihnen die Risiken zu reduzieren. Sie erreichen ihn per E-Mail (andorfer@protag-law.com) und telefonisch unter 0621 391 80 10 – 0.

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