Mehr Infos m Urteil des BGH vom 24.09.2019 – 1 StR 346/18

Mehr Infos zum Urteil des BGH vom 24.09.2019 – 1 StR 346/18


Keine Hinterziehung von Sozialabgaben, wenn Vorsatz des Täters fehlt, Arbeitgeber zu sein
BGH Urteil vom 24.09.2019 – 1 StR 346/18

Sachverhalt: Keine Zahlung von Sozialabgaben für Pflegekräfte durch private Arbeitgeber – fehlender Vorsatz?
Der vorliegende Fall handelt von einem Angeklagten, der in den Jahren 2008 bis 2014 über ein Einzelunternehmen osteuropäische Pflegekräfte an Privathaushalte in Deutschland vermittelte. Er warb diese in ihren Heimatländern an, sorgte für ihre Reise nach Deutschland, brachte sie zu den Familien und gewährleistete Absicherungen. Hierfür erhob der Angeklagte eine einmalige Vermittlungsgebühr sowie monatliche Kostenpauschalen.

Für die Vermittlung schloss der Angeklagte jeweils einen Formvertrag mit der zu pflegenden Person bzw. einem ihrer Angehörigen. Mit den Arbeitskräften selbst hatte er während der Arbeitseinsätze keinen Kontakt. Sie standen weder in einem Anstellungsverhältnis zu einem Arbeitgeber im Ausland, noch verfügten sie über die bis zum 30. April 2011 (Polen) bzw. 31.12.2013 (Rumänen) erforderlichen Entsendebescheinigungen oder Arbeitsgenehmigungen. Lohnsteuerlich waren sie ebenfalls nicht erfasst. Das monatliche Entgelt wurde vom Ansprechpartner in der jeweiligen Familie festgelegt und den Pflegekräften ausgezahlt. Die meisten Pflegekräfte erhielten zusätzlich freie Unterkunft sowie Vollverpflegung. Sozialabgaben zahlten sie nicht.

Aufgrund der Beschäftigungsverhältnisse ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die zu pflegenden Personen oder die für sie jeweils handelnden Angehörigen Arbeitgeber waren.  Anmeldungen der Pflegekräfte zur Sozialversicherung wurden seitens der Arbeitgeber nicht vorgenommen. Sozialabgaben wurden nicht abgeführt. Dass die privaten Arbeitgeber Sozialabgaben zahlen mussten, war nicht allen bekannt. Fehlte ihnen also der Vorsatz?

Vorsatz des Angeklagten, dass Arbeitgeber Sozialabgaben nicht abführten
Diese Umstände waren aber dem Angeklagten bekannt. Sein Geschäftsmodell zielte gerade darauf ab, die Pflegekräfte nicht zur Sozialversicherung anzumelden. Es ging darum, die Abführung von Sozialabgaben durch die Arbeitgeber zu vermeiden.

Nach bisheriger Rechtsprechung des BGH musste sich der Vorsatz des Arbeitgebers nur auf die hierfür maßgeblichen tatsächlichen Umstände beziehen. Die privaten Arbeitgeber mussten also keine zutreffende rechtliche Einordnung treffen, dass sie Arbeitgeber waren. Sollten die Arbeitgeber die Umstände unzutreffend eingeschätzt haben, ging das Landgericht von einem vermeidbaren Verbotsirrtum – also von Vorsatz – aus.

Zur Berechnung der Höhe der nicht abgeführten Sozialabgaben hat das Landgericht das jeweilige monatliche Arbeitsentgelt – die als Vergütung ausgezahlten Geldbeiträge sowie Sachbezugswerte für Kost und Logis – auf einen Bruttolohn hochgerechnet. Hierzu hatte der Angeklagte Beihilfe geleistet.

BGH verneint Vorsatz des Arbeitgebers zur Hinterziehung von Sozialabgaben bei Unwissenheit

Bei allen Varianten des §266a StGB ist Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz ausreichend ist. Es ist allerdings nicht ausreichend, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt. Er muss ihn zusätzlich auch billigen oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfinden. Der Arbeitgeber müsste also erkennen, dass er Arbeitgeber ist. Dann müsste er die Pflicht zur Zahlung von Sozialabgaben zumindest für möglich gehalten und deren Verletzung billigend in Kauf genommen haben. Wenn er sich darüber irrt, fehlt ihm der Vorsatz für die Hinterziehung von Sozialabgaben.

Ob eine Person Arbeitgeber ist, richtet sich nach dem Sozialversicherungsrecht. Die Beurteilung hat aufgrund einer Vielzahl von Kriterien zu erfolgen. Unter anderem das Maß der Eingliederung des die Dienste Leistenden in den Betrieb, das Bestehen eines Direktionsrechts bezüglich Zeit, Dauer, Ort, die Ausführung der Dienstleistung und das Vorliegen eines eigenen unternehmerischen Risikos des die Dienste leistenden. Entscheidend zur Abgrenzung von unselbständiger und selbständiger Beschäftigung sind die tatsächlichen Gegebenheiten der „gelebten“ Beziehung.

Bei der Feststellung durch das Tatgericht sind Indizien von besonderer Bedeutung, die für das Vorliegen einer Stellung als Arbeitgeber sprechen. Daneben die Erfahrung des Arbeitgebers im Geschäftsverkehr sowie ob das Geschäftsmodell von vornherein auf die Hinterziehung von Sozialabgaben ausgerichtet war.

Im Vorliegenden Fall kam es zur Aufhebung der Verurteilung und Zurückweisung in den Fällen, in denen keine hinreichend wichtigen Indizien festgestellt werden konnten, die zur Annahme eines Vorsatzes der Arbeitgeber zwangen. Zu einem Teilfreispruch des Angeklagten kam es jedoch nicht.

Weiterhin wurden die jeweils nicht abgeführten Sozialabgaben teilweise unzutreffend und im Übrigen nicht nachvollziehbar berechnet. Die Bereitstellung der Übernachtungsmöglichkeit stellt keine als Vergütungsbestandteil geleistete Zusatzleistung der Arbeitgeber dar.  Sie ist eine unentgeltliche Leistung für Zwecke der jeweiligen Arbeitgeber. Deren Sachbezugswerte hätten somit im Rahmen der zugrunde gelegten Nettobeträge nicht berücksichtigt werden dürfen.

Fazit: Bei Hinterziehung von Sozialabgaben wird sich künftig vermehrt die Frage nach dem Vorsatz des Arbeitgebers stellen

Der BGH hat mit seinem Urteil einen Wandel in seiner Rechtsprechung eingeleitet. Früher verlangte er von Betroffenen, dass diese sich rechtlich intensiv beraten lassen, ob sie Arbeitgeber wurden. Unterlagen sie hierbei einem Irrtum, blieb der Vorsatz bestehen. Es wurde lediglich geprüft, ob der Irrtum unvermeidbar war. Dies wurde jedoch regelmäßig von den Gerichten abgelehnt. Somit erfolgte eine Bestrafung wegen Hinterziehung von Sozialabgaben.

Die neue Entscheidung des BGH ist jedoch folgerichtig. Ein Betroffener, der sich irrt, weiß nicht, dass er Arbeitgeber geworden ist. Weiß er jedoch nicht, dass er Arbeitgeber geworden ist, weiß er auch nicht, dass er Sozialabgaben abführen muss. Von daher fehlt ihm auch der Vorsatz, Sozialabgaben zu hinterziehen. Diese Entscheidung wird daher für alle Fälle relevant werden, in denen sich Betroffene plötzlich mit einer Arbeitgeberstellung konfrontiert sehen. Dies wird zum einen Fälle betreffen, in denen es um den Einsatz von angeblichen Scheinselbstständigen geht. Zum anderern wird es um Fälle der illegalen Arbeitnehmerüberlassung gehen. Beiden Fällen ist gemein, dass die Beurteilung ein rechtlich hoch komplexer Vorgang ist, bei dem sich selbst Juristen nicht immer einig sind. In diesen Zweifelsfällen haben die Betroffenen nun mehr Schutz.

Allerdings entbindet dies die betroffenen Arbeitgeber nicht von einer sorgfältigen rechtlichen Prüfung. Der BGH hatte diesen Richtungswechsel nämlich bereits mit Urteil vom 24.01.2018 angedeutet. Der Gesetzgeber hat mittlerweile reagiert und das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) reformiert. Der Zoll hat hiernach zum einen verbesserte Ermittlungsmöglichkeiten. Zum anderen wurde ein Bußgeldtatbestand der leichtfertigen Hinterziehung von Sozialabgaben eingeführt. Betroffene Arbeitgeber, denen es am Vorsatz fehlt, werden daher zukünftig über diese Schiene belangt werden. Von daher empfiehlt es sich, hier rechtzeitig rechtlichen Rat einzuholen. Hierfür stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

siehe auch: https://protag-law.com/keine-hinterziehung-von-sozialabgaben-wenn-vorsatz-des-taeters-fehlt-arbeitgeber-zu-sein-bgh-urteil-vom-24-09-2019-1-str-346-18/
Kontaktperson: Zögern Sie nicht und nehmen Sie Kontakt auf. Herr Rechtsanwalt Andorfer hilft Ihnen bei allen Fragen des nationalen und internationalen Sozialversicherungsrechts. Er berät Sie über die Durchführung Ihrer Tätigkeit und begutachtet die Abläufe in Ihrem Betrieb. Sie erreichen ihn per E-Mail (andorfer@protag-law.com) und telefonisch unter 0621 391 80 10 – 0 .
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