230223 Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung von einem Werkvertrag bzw. Dienstvertrag, BAG Urteil 9 AZR 323/21

Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung von einem Werkvertrag bzw. Dienstvertrag, BAG Urteil 9 AZR 323/21


Sachverhalt: Worauf muss ein Gericht bei der Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung von einem Werkvertrag bzw. Dienstvertrag achten?

Im vorliegenden Fall streiten die Parteien darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht.


Der Kläger schloss mit der B-GmbH einen Arbeitsvertrag mit Wirkung zum 1. Juli 2010. Er wurde aber unmittelbar nach dem Vertragsabschluss bis zum 30. April 2018 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilindustrie, als Systemingenieur eingesetzt.


Der Kläger vertrat die Auffassung, zwischen den Parteien sei zum 1. Juli 2010 ein Arbeitsvertrag zustande gekommen, weil er der Beklagten unerlaubt zur Arbeitsleistung überlassen worden sei (die B-GmbH verfügte über keine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis). Er habe nach Arbeitsanweisungen der Beklagten mit den bei ihr angestellten Arbeitnehmern in demselben Team gearbeitet und sei in den Betrieb eingegliedert gewesen. Deshalb läge unerlaubte Leiharbeit vor.


Demgegenüber trug die Beklagte vor, der Kläger sei als Erfüllungsgehilfe der B-GmbH im Rahmen eines Dienstvertrags tätig gewesen, der am 30. April 2018 geendet habe. Weisungen seien dem Kläger lediglich sach- und ergebnisbezogen erteilt worden.


Das Arbeitsgericht gab dem Feststellungsantrag durch Teilurteil statt. Dagegen legte die Beklagte Berufung beim Landesarbeitsgericht, die zurückgewiesen wurde. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.


Entscheidung des BAG: Bei der Abgrenzung von Werkvertrag bzw. Dienstvertrag und Arbeitnehmerüberlassung sind alle Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen 


In seinem Urteil hat das BAG die typischen Abgrenzungskriterien der Arbeitnehmerüberlassung von einem Werkvertrag bzw. Dienstvertrag dargestellt.

Auf der Grundlage der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts konnte das BAG jedoch nicht abschließend entscheiden, ob zwischen den Parteien seit dem 1. Juli 2010 ein Arbeitsverhältnis besteht. Aus diesem Grund hob das BAG die angefochtene Entscheidung auf. Es verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. 


In seiner Begründung stellte das BAG fest, das Landesarbeitsgericht hat es versäumt, die Umstände, die es im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung gewürdigt hat, in nachvollziehbarer Weise festzustellen und zu gewichten.



Sprechen einige Kriterien für die Annahme, der Kläger sei als Erfüllungsgehilfe der B GmbH im Rahmen eines Dienstvertrags tätig geworden und andere für das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung, hat das Tatsachengericht eine umfassende Abwägung aller in die Entscheidung einzustellenden Gesichtspunkte vorzunehmen. Dabei hat es die seiner Entscheidung zugrunde liegenden Aspekte zu benennen und diese zu gewichten. Schließlich hat es im Wege der Abwägung nachvollziehbar zu erläutern, aus welchen Gründen es in der Gesamtbetrachtung zu dem von ihm gefundenen Ergebnis gelangt.


Umfassende Darlegung erforderlich, um Werkvertrag und Dienstvertrag abzulehnen und Arbeitnehmerüberlassung zu bejahen

Außerdem hat der Arbeitnehmer die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG aF ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher als zustande gekommen gilt. 


Beispielsweise, führte das BAG aus, dass das Landesarbeitsgericht aufgrund der vom Kläger vorgelegten E-Mails davon ausgegangen ist, die Beklagte habe geprüft, ob Urlaubswünsche bei ihr angestellter Arbeitnehmer dem Urlaubswunsch des Klägers entgegenstünden. Darin liege ein Beleg für die Eingliederung des Klägers. Es hat dabei den Vortrag der Beklagten nicht berücksichtigt, Fremdfirmenmitarbeiter hätten ihren Urlaub bei ihren Vertragsarbeitgebern beantragen und von diesen genehmigen lassen müssen. Danach hätte es zunächst dem Kläger als primär darlegungs- pflichtiger Partei oblegen darzulegen, dass der Urlaub nicht durch die B GmbH, sondern durch die Beklagte bewilligt wurde. 

Jetzt bleibt abzuwarten, wie das Landesarbeitsgericht die Sache entscheidet.


Fazit: Umfassende Abwägung bei Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung von einem Werkvertrag bzw. Dienstvertrag 


Aus dem Urteil wird deutlich, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, wenn dieser der Ansicht ist, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen ihm und dem Entleiher als zustande gekommen gilt.  Hierbei muss das Gericht eine umfassende Abwägung aller in die Entscheidung einzustellenden Gesichtspunkte vornehmen, wenn es nicht klar ist, ob eine Arbeitnehmerüberlassung oder ein Werkvertrag bzw. Dienstvertrag vorliegt. Schließlich ist eine nachvollziehbare Erläuterung der Gründe notwendig, warum das Gericht zu seinem Ergebnis gekommen ist. Dies hat im vorliegenden Fall gefehlt. Deswegen wurde die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. 


Unternehmen, die Fremdpersonal auf Basis eines Werkvertrags oder eines Dienstvertrags einsetzen, sollten dies von Experten regelmäßig überprüfen lassen. Im Rahmen eines Audits können hier Schwachstellen aufgedeckt werden und unliebsamen Überraschungen vorgebeugt werden. Soweit Indizien für eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegen, können diese in der Regel durch Änderung der betriebswirtschaftlichen Prozesse und Arbeitsabläufe in die richtige Bahn gelenkt werden. 


Zu diesen und anderen Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Zögern Sie nicht und nehmen Sie Kontakt auf. Herr Rechtsanwalt Andorfer hilft Ihnen auch bei allen anderen Fragen rund um die Themen Fremdpersonaleinsatz, insbesondere Recht der Werkverträge und Zeitarbeit Arbeits- und WirtschaftsstrafrechtDeutsches und Europäisches Sozialversicherungsrecht sowie Europarecht. Ebenso berät Sie Herr Andorfer bei Fragen des Einsatzes von Selbständigen. Er berät Sie über die Durchführung Ihrer Tätigkeit, auditiert die Abläufe in Ihrem Betrieb wie bei einer Zollprüfung und hilft Ihnen die Risiken zu reduzieren. Sie erreichen ihn per E-Mail (info@protag-law.com) und telefonisch unter 06221 33 863 – 0.


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