231219 Dienstleistungsvertrag versus Arbeitnehmerüberlassung, BAG Urteil – 9 AZR 278/22

Dienstleistungsvertrag versus Arbeitnehmerüberlassung, BAG Urteil – 9 AZR 278/22


Sachverhalt: Reicht die Behauptung einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung seitens des Arbeitnehmers für das Gericht?


Im vorliegenden Fall streiten die Parteien darüber, ob zwischen ihnen infolge verdeckter Arbeitnehmerüberlassung (auch Scheinwerkvertrag oder illegale Arbeitnehmerüberlassung genannt) ein Arbeitsverhältnis besteht.

 

Der Kläger war seit Januar 2012 als Systemingenieur bei der Firma E GmbH angestellt und wurde bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilindustrie, im Rahmen eines Dienstleistungsvertrag (also eines 

SWerkvertrages oder eines Dienstvertrages) eingesetzt. Dem Team gehörten sowohl Mitarbeiter der Beklagten als auch Arbeitnehmer aus Fremdfirmen an.


Der Kläger vertrat die Auffassung, zwischen den Parteien sei ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Er sei bei der Beklagten nicht aufgrund eines Werkvertrags, sondern im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt worden.


Während das Arbeitsgericht die Klage abwies, änderte das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts ab und gab der Klage statt. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.


Entscheidung: verdeckte Arbeitnehmerüberlassung begründet Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Werkbesteller


Das BAG kam zu dem Ergebnis, dass das Landesgericht zu Recht das Urteil des Arbeitsgerichts abänderte und eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung annahm.


Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler erkannt, dass zwischen den Parteien infolge verdeckter Arbeitnehmerüberlassung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1a Halbs. 1 AÜG kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis begründet worden ist.


Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AÜG kommt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeiter zustande, wenn der Arbeitsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeiter unwirksam ist. Das ist regelmäßig der Fall, wenn die Arbeitnehmerüberlassung entgegen § 1 Abs. 1 Satz 5 und 6 AÜG nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Leiharbeiters nicht konkretisiert worden ist (§ 9 Abs. 1 Nr. 1a Halbs. 1 AÜG).


Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung von Werkvertrag oder Dienstvertrag


Eine Überlassung liegt nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG vor, wenn der Arbeitnehmer in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert ist und dessen Weisungen unterliegt. Notwendiger Inhalt eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags ist die Verpflichtung des Verleihers gegenüber dem Entleiher, diesem zur Förderung von dessen Betriebszwecken Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen.


Von der Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags. In diesen Fällen wird der Unternehmer für einen anderen tätig. Er organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der in dem Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen den Weisungen des Unternehmers und sind dessen Erfüllungsgehilfen.


Der Werkbesteller kann jedoch, wie sich aus § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt, dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführung des Werks erteilen. Entsprechendes gilt für Dienstverträge. Solche Dienst- oder Werkverträge werden vom AÜG nicht erfasst. 


Die arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis ist von der projektbezogenen werkvertraglichen Anweisung iSd. § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB zu unterscheiden. Die werkvertragliche Anweisung ist sachbezogen und ergebnisorientiert. Sie ist gegenständlich auf die zu erbringende Werkleistung begrenzt. Das arbeitsrechtliche Weisungsrecht ist demgegenüber personenbezogen, ablauf- und verfahrensorientiert.


Bezeichnung des Vertrages und seine praktische Durchführung 


Ganz besonderes Augenmerk legte das BAG auf die Bezeichnung des Vertrages. Hierzu stellte das BAG fest, dass für einen Vertrag, der als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag anzusehen ist, seine praktische Durchführung irrelevant ist. In diesem Fall liegt Arbeitnehmerüberlassung vor. 


Wenn aber der Vertrag beispielsweise als Werk- oder Dienstvertrag bezeichnet ist, aber tatsächlich Arbeitnehmerüberlassung praktiziert wird, ist nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG die Bezeichnung des Vertrages unbeachtlich. In diesem Fall wird den Betroffenen eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vorgeworfen. Was zufolge hat, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Entleiher (Werkbesteller) zustande kommt. 


Hierzu hat der Arbeitnehmer die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher als zustande gekommen gilt.


Behauptung einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung seitens Arbeitnehmers 


Im vorliegenden Fall behauptete der Kläger, der zwischen der Beklagten und der E GmbH vertraglich festgelegte Leistungsgegenstand sei derart unbestimmt, dass er erst durch die Weisungen der Beklagten konkretisiert werden müsse. Damit brachte er zum Ausdruck, dass der Inhalt der Vereinbarung zwischen der Beklagten und seiner Vertragsarbeitgeberin eine Arbeitnehmerüberlassung zum Gegenstand habe. Der konkrete Inhalt der Vereinbarung war dem Kläger jedoch nicht bekannt. 


Zudem hat er auf einen gegen die Beklagte verhängten Bußgeldbescheid des Hauptzollamts Darmstadt verwiesen, dem zufolge der Rahmenvertrag zwischen der Beklagten und seiner Vertragsarbeitgeberin Hinweise auf eine Arbeitnehmerüberlassung enthalte. 


Im Rahmen der sekundären Darlegungslast hätte die Beklagte entgegentreten können, wenn sie den Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen dargelegt hätte. Dies ist jedoch nicht erfolgt. 


Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass die Arbeitnehmerüberlassung im Überlassungsvertrag ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Klägers vor der Überlassung konkretisiert worden ist. Aus diesem Grund stellte das BAG fest, dass der Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und seiner Vertragsarbeitgeberin gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG unwirksam ist. 


Fazit: Werkvertrag oder Dienstvertrag muss als solcher erkennbar sein 


Aus dem Urteil wird deutlich, dass abgeschlossene Werkverträge oder Dienstverträge auch als solche erkennbar sein müssen. Anderenfalls wird den Beteiligten eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vorgeworfen, was zufolge hat, dass der Vertrag des Arbeitnehmers mit seinem ursprünglichen Arbeitgeber unwirksam wird und das Arbeitsverhältnis auf den Werkbesteller übergeht. Der Werkbesteller wird dann der neue Arbeitgeber des Arbeitnehmers mit allen arbeitsrechtlichen Folgen sein.


Das Urteil hat außerdem gezeigt, dass eine Behauptung einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung seitens Arbeitnehmers für das Gericht ausreichend ist, wenn der Besteller nicht das Gegenteil beweist. 


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