231113 Befristeter Arbeitsvertrag nach Arbeitnehmerüberlassung im gleichen Betrieb, BAG - 7 AZR 224/22

Befristeter Arbeitsvertrag nach Arbeitnehmerüberlassung im gleichen Betrieb, BAG - 7 AZR 224/22

Sachverhalt: Ist der befristete Arbeitsvertrag nach einer Arbeitnehmerüberlassung im gleichen Betrieb unzulässig?


Im vorliegenden Fall streiten die Parteien hauptsächlich darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung am 31. Mai 2020 geendet und ob es bereits vor der Befristung bestanden hat.


Der Kläger war seit dem 13. September 2016 bei der Arbeitnehmerüberlassung betreibenden A GmbH & Co. OHG (A) auf der Grundlage mehrerer, zuletzt bis 31. August 2019 befristeter Arbeitsverträge beschäftigt. Während der gesamten Dauer dieses Arbeitsverhältnisses war er der Beklagten – einem Unternehmen der Automobilindustrie – zur Arbeitsleistung überlassen.


Die Beklagte, die A und die Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) schlossen am 5. Dezember 2013 einen „Tarifvertrag über die Vergütung und Einsatzbedingungen von Zeitarbeitnehmern“ (TV VEZ). Danach wurde unter anderem der Einsatz von Zeitarbeitern auf maximal 36 Monaten befristet.


Am 3. Juli 2019 vereinbarten der Kläger und die Beklagte einen vom 1. September 2019 bis zum 31. Mai 2020 befristeten Arbeitsvertrag, auf dessen Grundlage der Kläger weiter am Standort H tätig war. Mit Schreiben vom 12. Mai 2020 teilte ihm die Beklagte mit, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Befristung ende und keine Anschlussbeschäftigung an einem ihrer Standorte angeboten werden könne.


Der Kläger war aber der Ansicht, dass die Befristung des Arbeitsvertrags unwirksam ist und seine Beschäftigung fortbestehen soll. Aus diesem Grund beantragte der Kläger beim Arbeitsgericht festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsabrede im Arbeitsvertrag beendet wurde.


Während das Arbeitsgericht die Klage abwies, gab das Landesarbeitsgericht ihr mit den Hauptanträgen und dem Weiterbeschäftigungsantrag auf die Berufung des Klägers hin statt. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.


Entscheidung des BAG: Eine befristete Anstellung des Zeitarbeiters beim Entleiher nach einer Arbeitnehmerüberlassung ist zulässig


Das BAG ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts aufgrund der vereinbarten Befristung am 31. Mai 2020 geendet hat. 


Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Bis zu dieser Gesamtdauer ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 TzBfG die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrags zulässig.


Im vorliegenden Fall ist die zulässige Höchstbefristungsdauer von zwei Jahren nicht überschritten. Das befristete Arbeitsverhältnis der Parteien dauerte vom 1. September 2019 bis zum 31. Mai 2020 und damit neun Monate.


Nicht zulässig ist die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrags nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG, wenn bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber bestanden hat. Die Arbeitnehmerüberlassung zählt aber nicht dazu. Es liegt keine Vorbeschäftigung iSd. § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG vor, wenn der befristet beschäftigte Arbeitnehmer dem Vertragsarbeitgeber zuvor als Leiharbeiter zur Arbeitsleistung überlassen war.


Der Kläger war in der Zeit vor seiner befristeten Einstellung bei der Beklagten nicht bei dieser, sondern bei der A und damit bei einer anderen juristischen Person im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt. Eine Vorbeschäftigung iSd. § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG liegt grundsätzlich nicht allein deshalb vor, weil der befristet eingestellte Arbeitnehmer zuvor als Leiharbeiter im gleichen Betrieb auf dem gleichen Arbeitsplatz gearbeitet hat.


Kein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeiter nach § 10 AÜG


Es wird auch kein Arbeitsverhältnis der Parteien nach § 9 Abs. 1 Nr. 1b§ 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG fingiert. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeiter zu dem zwischen dem Entleiher und dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt als zustande gekommen, wenn der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeiter nach § 9 AÜG unwirksam ist. Dies ist der Fall, wenn die zulässige Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten überschritten ist.


Zwar überschreitet die Überlassung des Klägers an die Beklagte vom 13. September 2016 bis zum 31. August 2019 (ca. 35,5 Monate) die in § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG festgelegte gesetzliche Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten. Diese ist aber vorliegend nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG iVm. § 4 Nr. 4.3.1 TV VEZ 2018 wirksam auf 36 Monate verlängert worden. Nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG kann in einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche eine von § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG abweichende Höchstüberlassungsdauer festgelegt werden.


Allerdings muss die in Tarifverträgen festgelegte Höchstüberlassungsdauer nach § 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG und Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2008/104/EG als „vorübergehend“ anzusehen sein, damit Leiharbeit bei demselben entleihenden Unternehmen nicht zu einer Dauersituation für einen Leiharbeiter werden kann


Wann ist die Arbeitnehmerüberlassung als nicht vorübergehend zu betrachten?


Nicht „vorübergehend“ ist eine Arbeitnehmerüberlassung dann, wenn sie unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände, zu denen insbesondere die Branchenbesonderheiten zählen, vernünftigerweise nicht mehr als „vorübergehend“ betrachtet werden kann. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Arbeitnehmerüberlassung ohne jegliche zeitliche Begrenzung erfolgt und der Leiharbeiter dauerhaft anstelle eines Stammarbeitnehmers eingesetzt werden soll.


Das BAG stellte außerdem fest, dass auch durch einen Haustarifvertrag für ein Unternehmen der Einsatzbranche die gesetzliche Höchstüberlassungsdauer nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG verlängert werden kann. § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG hebt auf einen „Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien“ ab; „Tarifvertragspartei“ ist nach § 2 Abs. 1 TVG auch der einzelne Arbeitgeber. Eine weitergehende Anforderung im Hinblick auf einen arbeitgeberübergreifenden branchenweiten Geltungsbereich des Tarifvertrags enthält das Gesetz nicht.


Die Beklagte und die IG Metall haben den TV VEZ 2018 als „Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche“ iSd. §1 Abs. 1b Satz 3 AÜG wirksam abgeschlossen.


Schließlich stellte das BAG fest, dass in der bloßen Aneinanderreihung von Arbeitnehmerüberlassung und sachgrundlos befristetem Arbeitsvertrag bei durchgängiger Beschäftigung des Klägers auf demselben Arbeitsplatz keine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung der Befristungsmöglichkeit des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG liegt. Der „Wechsel“ des Klägers zur Beklagten als vormaliger Entleiherin bewirkte zudem dessen – wenngleich befristete – Anstellung als Stammarbeitnehmer. Er ging damit nicht mit einer Ausnutzung der Zulässigkeitsgrenze für eine sachgrundlose Befristung durch die Beklagte einher.


Fazit: Befristete Anstellung nach einer Arbeitnehmerüberlassung ist zulässig


Aus dem Urteil wird deutlich, dass es zulässig ist, wenn Entleiher Leiharbeiter nach der Arbeitnehmerüberlassung befristet anstellen, solange die Befristung nicht länger als zwei Jahre dauert. Hierbei spielt es keine Rolle, dass der Leiharbeiter weiterhin im gleichen Betrieb auf dem gleichen Arbeitsplatz tätig ist. Die Arbeitnehmerüberlassung, die vor der befristeten Anstellung stattgefunden hat, zählt nicht als Vorbeschäftigung beim Entleiher. 

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