231227 Selbständige Bauarbeiter oder abhängig Beschäftigte? – LSG Urteil L 8 BA 51/20

Selbständige Bauarbeiter oder abhängig Beschäftigte? – LSG Urteil L 8 BA 51/20


Sachverhalt: Worauf muss man achten, wenn man Selbständige engagiert?

Im vorliegenden Fall streiten die Parteien über die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung einschließlich der hierauf entfallenden Säumniszuschläge, insgesamt in Höhe von 103.624,46 € für die Tätigkeit von drei ungarischen Selbständigen in den Jahren 2013 bis 2014.


Der Kläger betrieb im streitgegenständlichen Zeitraum ein Einzelunternehmen für Trockenbau und Brandschutz. Als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte führte er in dieser Zeit allein seine Ehefrau. Auftraggeberin des Klägers war die P. GmbH. Zur Durchführung der ihm von dieser erteiltenAufträge engagierte der Kläger drei ungarische Bauarbeiter als Selbständige. Sie unterhielten bis zum Jahr 2015 eine Personengesellschaft, in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die D.-Trockenbau GbR, für die sie ein Gewerbe anmeldeten.


Der Kläger und die D.-Trockenbau GbR schlossen am 17. August 2013 einen Nachunter- nehmervertrag in Form eines Werkvertrags. Als dessen Gegenstand wurde in § 1 „die selbstständige Ausführung von jeweils separat spezifiziert vereinbarten Arbeiten“ durch die GbR genannt. Als Folge wurden die ungarische Bauarbeiter für den Kläger tätig, ohne dass dieser Sozialversicherungsbeiträge für sie entrichtete.


Die Beklagte ist die Deutsche Rentenversicherung. Aufgrund eines durch das Hauptzollamt Gießen eingeleiteten Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger wegen des Verdachts der Hinterziehung von Sozialabgaben führte die Beklagte beim Kläger eine Betriebsprüfung durch.


In einem Bescheid stellte die Beklagte fest, dass die ungarischen Bauarbeiter als sog. Scheinselbständige in einem Beschäftigungsverhältnis zum Kläger gestanden hätten. Als versicherungspflichtig Beschäftigte unterlägen sie der Versicherungspflicht in der Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. 


Dagegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Kassel. Nachdem das Sozialgericht die Klage abwies, legte der Kläger Berufung beim LSG ein.


Entscheidung: Ungarische Selbständige waren abhängig Beschäftigte


Das LSG kam zu dem Ergebnis, dass die Beklagte zu Recht die gegenständliche Forderung in Höhe von 103.624,46 Euro gegen den Kläger festgesetzt hatte. Die ungarischen Bauarbeiter waren im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses für diesen tätig. Hierfür sind Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen nicht entrichtet worden. 


Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, erfordert das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsleistung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit sowie das Unternehmerrisiko gekennzeichnet.


Hierzu führte das LSG aus, dass der vorliegende Nachunternehmervertrag für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Bauarbeiter nur von geringer Aussagekraft ist. Denn nach den von den Bauarbeitern insoweit übereinstimmenden Darlegungen der tatsächlichen Umstände ihrer Tätigkeit wurde der Vertrag in der Praxis in keinem seiner wesentlichen Punkte umgesetzt.


Ein echtes Bau-Subunternehmer-Verhältnis nur auf dem Papier genügt nicht


Die gesamte Konstruktion der vertraglichen Regelungen unterstellt indes ein echtes Bau-Subunternehmer-Verhältnis zwischen dem Kläger als Generalunternehmer und der von den Bauarbeitern betriebenen GbR als Nachunternehmerin. Hier wären konkrete Aufträge unterschiedlicher Art bei Einsatz ggf. auch dritter Arbeitskräfte und unter Verwendung von durch die GbR gestellten zu verbauenden Materials individuell zu ermitteln, auszuhandeln, zu kalkulieren und abzurechnen gewesen.


In der Praxis stellte sich die Tätigkeit der Bauarbeiter für den Kläger in hierzu kaum zu überbietendem Kontrast dar. Zum Beispiel setzte der Kläger die Bauarbeiter auf den von ihm akquirierten Baustellen der Firma P. GmbH als Arbeitskräfte zur Erfüllung seiner eigenen vertraglichen Verpflichtungen ein. Auf den Baustellen taten die Bauarbeiter nichts anderes, als – so wie der Kläger es ihnen anfänglich einmal gezeigt hatte – bestimmte, ihnen vom Kläger ausgewiesene Säulen mit Brennschutzplatten zu versehen. 


Keine Merkmale einer selbständigen Tätigkeit


Eine individuelle, auf einzelne Bauprojekte bezogene Preiskalkulation durch die angeblich Selbständigen bzw. die GbR fand nicht statt. Stattdessen vereinbarten die Bauarbeiter auf Vorschlag des Klägers einmal am Anfang ihrer Zusammenarbeit eine Bezahlung in Höhe von 10 bzw. 11 € pro verkleideter Säule, die dann auf allen weiteren Baustellen galt. 


Hinzu kommt, dass die Bauarbeiter kein Unternehmensrisiko trugen. Alle wesentlichen Kosten für die Tätigkeit auf den Baustellen wurden vom Kläger bzw. seiner Auftraggeberin, der P. GmbH, getragen. Arbeitsmaterialien, Arbeitsmittel und Werkzeuge, bis auf Kleinwerkzeuge, wurden den Bauarbeitern gestellt. Die von den Bauarbeitern betriebene GbR verfügte weder über eine eigene Betriebsstätte oder auch nur Büroräume, noch über Materialien oder Werkzeug in wesentlichem Umfang.


Schließlich kam das LSG zu dem Ergebnis, dass der zwischen den Beteiligten geschlossene Nachunternehmervertrag letztlich nur der Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse dienen sollte. Hierdurch wollte der Kläger die gesetzlichen Sozialabgabepflichten umgehen. Hierzu nennt das LSG auch die Tatsache, dass der Vertrag erst im August 2013 abgeschlossen wurde, obwohl die Bauarbeiter ihre Tätigkeit seit Mai 2013 für den Kläger ausgeübt hatten. 


Fazit: Der abgeschlossene Vertrag und seine tatsächliche Durchführung müssen übereinstimmen


Aus dem Urteil wird klar, dass nicht nur der Vertragstext, sondern vor allem seine praktische Durchführung für die Abgrenzung einer selbständigen Tätigkeit von abhängiger Beschäftigung von Bedeutung ist. Im vorliegenden Fall war der Nachunternehmervertrag, nach dem die Bauarbeiter eine selbständige Tätigkeit ausführen sollten, makellos verfasst. Die tatsächliche Tätigkeit der Bauarbeiter stimmte jedoch mit dem Nachunternehmervertrag nicht überein. Für die Feststellung der gelebten Praxis stützen sich die Gerichte vor allen auf die Aussagen der einzelnen Bauarbeiter. Daher sollten die Betroffenen, die Selbständige beauftragen, besonders aufpassen, dass die tatsächliche Durchführung mit dem vereinbarten Vertrag übereinstimmt. Anderenfalls drohen sehr hohe Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen.


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