221026 Heilung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrages? BAG Beschluss – 10 ABR 33/20

Heilung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrages? BAG Beschluss – 10 ABR 33/20


Sachverhalt: Kann die Unwirksamkeit einer Allgemeinverbindlichkeits-erklärung geheilt werden?


Die Beteiligten stritten über die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung vom 29. Oktober 2019 (AVE 2019) zum Entgelttarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe. Diesen hatten ver.di und der Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen e. V. abgeschlossen.


Am 16. Juli 2019 wurde der Entgelttarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe abgeschlossen. Dieser wurde im Jahr 2010 rückwirkend teilweise für allgemeinverbindlich erklärt (AVE 2010). Der Tarifvertrag endete zum 31.12.2011. 


Ein Unternehmen des Wach- und Sicherheitsgewerbes war im Geltungszeitraum des Tarifvertrags 2009 nicht Mitglied des tarifvertragschließenden Arbeitgeberverbands. Nach einer Betriebsprüfung nahm die Deutsche Rentenversicherung (DRV) das Unternehmen für den Geltungszeitraum der AVE 2010 in Bezug auf in Hessen eingesetzte Mitarbeiter auf Beitragsnachforderungen in Anspruch. Dagegen leitete das Unternehmen ein gerichtliches Verfahren ein. Es hat die Auffassung vertreten, die AVE 2010 sei mangels Ministerbefassung unwirksam. 


Während des Verfahrens wurden die damaligen Tarifparteien über die mögliche Unwirksamkeit der AVE 2010 in Kenntnis gesetzt. Zugleich wurde angefragt, ob sie mit einer rückwirkenden Wiederherstellung der AVE 2010 einverstanden wären. Dem stimmten sie zu. Daraufhin machte der damalige Minister für Soziales und Integration des Landes Hessen die AVE des damaligen Entgelttarifvertrages am 29.10.2019 bekannt (AVE 2019). Dies erfolgte ohne Durchführung weiterer Verfahrensschritte. Zugleich wies er darauf hin, dass die AVE 2019 an die Stelle der AVE 2010 trete. Das betroffene Unternehmen beantragte daher auch die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der AVE 2019.


Während das Landesarbeitsgericht dem Antrag auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der AVE 2010 stattgab, wies es den Antrag auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der AVE 2019 zurück. Das Unternehmen verfolgte mit der Rechtsbeschwerde beim BAG die Feststellung der Unwirksamkeit der AVE 2019 weiter.


Entscheidung des BAG: die Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrages ist unwirksam


Das BAG kam zu dem Ergebnis, dass die Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrages vom 29. Oktober 2019 unwirksam ist. Aus diesem Grund hob das BAG die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auf und stellte die Unwirksamkeit der AVE 2019 fest.


Unter anderem führte das BAG auf, dass ein Fehler im Normsetzungsverfahren grundsätzlich zur Unwirksamkeit der gesamten Rechtsvorschrift führt. Wegen der Einordnung der AVE als Rechtsetzungsakt sui generis führen grundsätzlich alle materiellen und formellen Mängel zur Nichtigkeit der AVE.


Nach dem Normerlass können zur Nichtigkeit führende Fehler grundsätzlich auch nicht geheilt werden; so kann beispielsweise eine fehlende Ministerbefassung nicht nachgeholt werden.


Der Gesetzgeber hat zwar für bestimmte Bereiche Heilungsvorschriften erlassen, um die Nichtigkeit von Normen zu vermeiden. Für das AVE-Verfahren gibt es solche Heilungsvorschriften aber nicht.


Heilung nur durch Neuerlass einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung 


Das Fehlen eines gesonderten Heilungsverfahrens schließt aber nicht aus, dass die für den Erlass der AVE zuständige Behörde unter Einhaltung der vom TVG und der TVG-DVO vorgegebenen Bedingungen eine Heilung durch Neuerlass einer AVE desselben Tarifvertrags vornimmt.


Allerdings ist ein rechtmäßiger Neuerlass einer AVE nur denkbar, wenn eine Beseitigung des Unwirksamkeitsgrundes – wie z.B. bei einem Verfahrensfehler – grundsätzlich möglich ist. Sie scheidet hingegen aus, wenn die Voraussetzungen für den Erlass nicht vorlagen.


Hierzu kam das BAG zu dem Ergebnis, dass die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Erlass der AVE 2019 nicht erfüllt waren.


Verfahrensrechtliche Voraussetzungen für den Erlass einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung


Verfahrensrechtlich setzt die AVE eines Tarifvertrags durch das BMAS bzw. im Fall der Delegation nach § 5 Abs. 6 TVG auf die oberste Arbeitsbehörde eines Landes Folgendes voraus:


·       das Vorliegen eines gemeinsamen Antrags der Tarifvertragsparteien (§ 5 Abs. 1 Satz 1 TVG nF) bzw. eines Antrags einer Tarifvertragspartei (§ 5 Abs. 1 Satz 1 TVG aF), 

·       dessen Bekanntmachung im Bundesanzeiger mit bestimmten Stellungnahmefristen (§ 4 Abs. 1 TVG-DVO), 

·       die Einberufung des Tarifausschusses unter Beachtung bestimmter Formalien und Fristen (§ 6 TVG-DVO), 

·       die Möglichkeit zur Stellungnahme für bestimmte Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Verbände und ggf. die obersten Arbeitsbehörden der Länder (§ 5 Abs. 2 TVG aF und nF, § 4 Abs. 1 Satz 2, § 6 Abs. 3 TVG-DVO), 

·       das Einvernehmen des Tarifausschusses mit der AVE (§ 5 Abs. 1 Satz 1 TVG aF und nF, § 7 TVG-DVO) und 

·       die Bekanntmachung der AVE im Bundesanzeiger (§ 5 Abs. 7 TVG aF, § 5 Abs. 7 Satz 1 TVG nF, § 11 TVG-DVO).


Diese Anforderungen erfüllt die AVE 2019 nicht.


Fazit: Für die Erklärung einer Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrages müssen viele verfahrensrechtliche Voraussetzungen erfüllt werden.


Aus dem BAG Beschluss wird klar, dass das Verfahren für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertragen sehr umfangreich ist. Erst wenn alle verfahrensrechtlichen Voraussetzungen erfüllt werden, kann ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden. Gleichzeitig gibt es keine Heilungsvorschriften, die die Unwirksamkeit einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung wiedergutmachen. Die Heilung ist nur durch einen Neuerlass einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung möglich.


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