221026 Unverhältnismäßigkeit von Sanktionen bei Entsendungen, EuGH Urteil - C-205/20

Unverhältnismäßigkeit von Sanktionen bei Entsendungen, EuGH Urteil - C-205/20


Sachverhalt: Dürfen nationale Behörden unverhältnismäßige Sanktionen verhängen?


Im vorliegenden Fall entsendete eine slowakische Gesellschaft (CONVOI) Arbeitnehmer an eine österreichische GmbH. Im Rahmen einer von der österreichischen Bezirksverwaltungsbehörde durchgeführten Kontrolle wurde aufgrund der Nichteinhaltung von mehreren Verpflichtungen eine Geldstrafe in Höhe von 54 000 Euro verhängt. Hierbei handelte sich um die Verpflichtungen, die unter anderem die Erstattung von Meldungen über Entsendungen bei der zuständigen nationalen Behörde und die Bereithaltung von Lohnunterlagen betrafen.


Der Vertreter der slowakischen Gesellschaft erhob dagegen eine Beschwerde an das österreichische Landesverwaltungsgericht. Dieses Gericht ersuchte den EuGH um Vorabentscheidung darüber, ob Sanktionen wie im Ausgangsfall mit dem Unionsrecht und insbesondere mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sind.


In seinem Beschluss vom 19. Dezember 2019 entschied der EuGH, dass Art. 20 der Richtlinie 2014/67 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Meldung von Arbeitnehmern und die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung hoher Geldstrafen vorsieht.


Der österreichische Gesetzgeber hat jedoch die nationale Regelung nicht geändert. Aus diesem Grund setzte das Landesverwaltungsgericht das Verfahren aus und legte dem EuGH erneut zwei Fragen vor.


Mit seiner ersten Frage wollte das Landesverwaltungsgericht wissen, ob das in Art. 20 der Richtlinie 2014/67 ausgelegte Erfordernis der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen eine unmittelbar anwendbare Richtlinienbestimmung ist?


Falls die erste Frage verneint wird, wollte das Verwaltungsgericht wissen, ob die mitgliedstaatlichen Gerichte und Verwaltungsbehörden festgelegten Kriterien der Verhältnismäßigkeit ergänzen dürfen bzw. müssen, ohne dass eine neue innerstaatliche Rechtsvorschrift erlassen worden ist?


Entscheidung des EuGH: Nationale Gerichte dürfen nationale Bestimmungen unangewendet lassen


In seinem Urteil stellte der EuGH fest, dass das in Art. 20 der Richtlinie 2014/67 vorgesehene Erfordernis der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen einen unbedingten Charakter aufweist. Somit müssen die Mitgliedstaaten dieses Erfordernis der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen nach Art. 20 der Richtlinie jedenfalls umsetzen.


Ferne kann sich ein Einzelner gegenüber einem Mitgliedstaat auf das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen berufen, wenn ein Mitgliedstaat sein Ermessen durch den Erlass einer nationalen Regelung überschreitet, die bei Verstößen gegen die erlassenen nationalen Bestimmungen unverhältnismäßige Sanktionen vorsieht.


In diesem Fall obliegt es dem Gericht, für die volle Wirksamkeit dieses Erfordernisses Sorge zu tragen. Wenn das Gericht die nationale Regelung nicht im Einklang mit diesem Erfordernis auslegen kann, muss es die nationalen Bestimmungen, die mit diesem Erfordernis unvereinbar erscheinen, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen.


Weiterhin wies der EuGH darauf hin, dass eine Regelung, die Geldbußen vorsieht, deren Höhe von der Zahl der von der Nichteinhaltung bestimmter arbeitsrechtlicher Verpflichtungen betroffenen Arbeitnehmer abhängt, für sich genommen nicht unverhältnismäßig erscheint.


Um die volle Wirksamkeit des in Art. 20 der Richtlinie 2014/67 vorgesehenen Erfordernisses der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen zu gewährleisten, hat daher das nationale Gericht denjenigen Teil der nationalen Regelung, aus dem sich die Unverhältnismäßigkeit der Sanktionen ergibt, unangewendet zu lassen, um so zur Verhängung verhältnismäßiger Sanktionen zu gelangen, die zugleich wirksam und abschreckend bleiben.


Der EuGH stellte in seinem Urteil außerdem fest, dass nationale Behörden, um die Einhaltung des Erfordernisses der Verhältnismäßigkeit der Sanktionen zu gewährleisten, auch einen Teil der nationalen Regelung unangewendet lassen können.


Die nationalen Behörden sind nur insoweit verpflichtet, eine nationale Regelung, von der ein Teil gegen das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen verstößt, unangewendet zu lassen, als dies erforderlich ist, um die Verhängung verhältnismäßiger Sanktionen zu ermöglichen.


Fazit: Betroffene, gegen die unverhältnismäßige Sanktionen verhängt wurden, können dagegen gerichtlich vorgehen


Aus dem Urteil des EuGH wird deutlich, dass die nationalen Regelungen Strafen für die Nichteinhaltung von Verpflichtungen im arbeitsrechtlichen Bereich beinhalten dürfen. Die nationalen Gerichte und Behörden sind aber verpflichtet, eine nationale Regelung oder deren Teil unangewendet zu lassen, um die Verhängung verhältnismäßiger Sanktionen zu ermöglichen. Im Zweifelsfall können die Betroffenen dagegen gerichtlich vorgehen. 


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